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Ein Irrglaube vom ausschließlichen Erfolg der Geschmacklosigkeit, der sich unter Filmproduzenten auch jetzt noch hält. Denn Jeroen Willems wird im deutschsprachigen Raum nach dem Film Die Patriarchin mit Iris Berben als Titelheldin weiterhin in manipulativ-tendenziösen “Frauen-Heroinnen”-Dubletten wie dem Dreiteiler Die Patin als Nebendarsteller von Veronika Ferres eingesetzt. Übrigens neben dem Österreicher Fritz Karl, der eine ähnlich aggressiv-kalkulierte Männlichkeit wie Willems ausstrahlt. Gedreht wird an der teamworx-RTL-ORF-Koproduktion bis November 2007. Doch auch in Hollywood erhält Jeroen Willems nicht den Stellenwert, den er mit seinen Fähigkeiten verdient hätte. Im Steven-Soderbergh-Kinofilm Ocean`s Twelve bekam er 2004 einen Kurzauftritt. Dabei würde er George Clooney und Brad Pitt mit Sicherheit an die Wand spielen, bekäme er eine anspruchsvolle, zu ihm passende Rolle. So ist das halt, wenn man prinzipiell sehr gut aussieht - und im internationalen Film zählt erst mal nur die Optik eines Schauspielers. Wie dagegen Willems´ viele Filmrollen in seiner eigenen Heimat, den Niederlanden, angelegt sind, lässt sich aus europäischer Sicht kaum sagen; sie scheinen lokal-orientiert zu sein, sodass andere Länder kaum daran interessiert sind, schon weil der niederländische Film, global gesehen, nicht sonderlich “in Mode” ist.
Starke Frauen als Partnerinnen für den starken Mann
Möglicherweise steckt hinter der deutschen Besetzung aber mehr als nur “Zufall”, sodass daraus die Kontinuität erwächst, Willems als Partner männlich-starker Frauen zu sehen. Solcher, die international und künstlerisch einen großen Namen tragen. Sogar im Theater wird Willems von Leuten wie Luc Bondy (2004 als Regisseur), während der Wiener Festwochen in Martin Crimps Cruel and Tender, zum Partner von Kerry Fox erkoren, die seit Patrice Chereaus gefühlskaltem Sexfilm Intimacy ganz oben auf der weiblichen Kultbesetzungsliste steht. Und die Intendantin des Zürcher Schauspielhauses ab 2009, Regisseurin Barbara Frey, besetzte Willems jüngst als Co-Star der deutschen Rainer-Werner-Fassbinder-Filmikone, der heute in New York lebenden Barbara Sukowa, bei den Salzburger Festspielen 2007 in Heiner Müllers Gefährliche Liebschaften-Adaption Quartett. Doch damit nicht genug: Sukowa ist auch noch erheblich älter als Willems. Am 2.2.1950 in Bremen geboren, überrundet sie den am 15.11.1962 in Heerlen-Geborenen um über zwölf Jahre. Das paßt aber wiederum zum Stück, da Sukowa zeitweilig seine Männerrolle übernimmt - die des kühl berechnenden Entjungferers und Querbraters Valmont - und er jene ihrer weiblichen Rollen: zweier der Tugend beraubter Frauen. Ganz so wie es vom Autor Müller beabsichtigt wurde. Denn er spitzte die Sexgeschichte über die typischen Gefühle von Mann auf Frau auf jene der ausschließlichen Machtmechanismen des Menschen im Allgemeinen zu, sodass am Ende allein die Machtgier die Sexlust bedingt - so wie im Alltag “ehrgeizige” Affairen im “Managementbereich” entstehen. Es handelt sich hierbei also vordergründig eher um ein lasziv-zynisches Wortspiel, ein Duell der Schlagfertigkeit, als um eines erlebender Seelen. Doch mancher Kritiker scheint - sich wohl an der Männlichkeit und der Weiblichkeit von “John Malkovich und Glenn Close” (der Hollywood-Verfilmung von Gefährliche Liebschaften) orientierend - nicht sicher zu sein, wie es denn nun wirklich sein sollte: “Sukowa bekommt von Valmonts Eiseskälte keine Brandblasen. Willems ist schweißgebadet, doch darin liegt metaphorisch das Problem: Valmont schwitzt nicht” - widerspricht sich in seiner Bewertung etwa ein Ulrich Weinzierl. - Hätte er also die Emotion lieber umgekehrt gesehen? Das wäre leichter gesagt als getan: denn ein Skorpion (Wasser = Gefühl = Willems) wird im Gegensatz zu einem Wassermann (Luft = Verstand = Sukowa) immer schwitzen, weil er eben viel körperlicher ist, selbst wenn er gerade brillant und intrigant kalkuliert. - So etwas mag sich im Film kaschieren lassen, im Theater aber nicht. - Und ausgerechnet jene Körperlichkeit gehört aber wieder zur außergewöhnlichen, musischen Technik des brillanten Schauspielers Willems, hinter der sich ein Musiker und ein Tänzer verbergen. Außerdem hält Willems selbst Heiner Müller zwar für “zynisch scharf”, aber auch für “romantisch”: “Müller kann so hart und direkt sein. Und zugleich ist er hochpoetisch. Ich spüre bei all der gewalttätigen Sprache seine Hoffnung.” - Mit dieser Aussage beweist Willems, dass er sich als Kerl Valmont, der die Frauen unterwirft, in seiner Interpretation als bewußt körperlich “fühlend” erlebt - er darf also auch schwitzen!
Der Tänzer und Musiker im Schauspieler Willems
Die musikalische Körperlichkeit lässt sich schon daraus ableiten, dass Willems aus dem Stall des Regie-führenden Theatererneuerers und ursprünglichen Schauspiel-Tänzers Johan Simons (von 20.-22.5.08 mit dem Stück Hiob (Regie: Johan Simons) bei den Wiener Festwochen 2008, das auf Joseph Roths Roman über den frommen Lehrer Singer aus jiddischem Schtetl basiert) kommt, bei dem Willems über sechzehn Jahre bei ZT Hollandia bis 2004 fix zum Ensemble zählte, bevor Simons 2005 Intendant des NT Gent wurde. Drei seiner Schauspieler nahm er dorthin für ein achtköpfiges, neues Ensemble mit: Elsie de Brauw, Aus Greidanus Jr. und Betty Schuurman, um in Gent ein Repertoire aufzubauen, was im flämischen Sprachraum bisher unüblich ist. Sie alle pflegen einschließlich Willems die Technik, aus dem Hier und Jetzt, mit Zuhilfenahme nichtliterarischer Texte, aus einer bestimmten Situation heraus, Sprache und Bewegung der darzustellenden (literarischen) Figur zur dramaturgischen Musik (des Komponisten Paul Koek) und aus der Individualiät des Schauspielers heraus zu gestalten. Woraus das typisch kraftvolle, körperlich-sinnliche Improvisations- und Erzähltheater wurde. Dieses Theater ist demnach ein Theater der Verführung, das zur Komplizenschaft des Publikums lockt und nicht zur Identifikation, was um vieles stärker wirkt. Hinzu kommt von Anfang an die inhaltlich politische, aus dem Leben gegriffene Note, die man anfangs sogar an Nicht-Theaterorten wie Bauernhöfen durchsetzen wollte. Was jedoch nicht klappte, es kam immer nur das Bildungsbürgertum. Womit man wieder in die Theater ging. Somit sieht Simons selbst die Auflösung der Gruppe ZT Hollandia als konsequent an: „Unser Ziel war immer die Freiheit, nie die Sicherheit. Und so lange das so bleibt, so lange habe ich keine Angst, vor nichts.“ Und diese Einstellung gibt ihm Recht: als “fix freier” Regisseur und mit anderen Darstellern gewinnt er weiterhin Preise, wie den Nestroy 2004 für Houellebecqs Elementarteilchen am Schauspielhaus Zürich.
Konsequentes Berufsziel ohne Johan Simons
Die Freiheit des Erfolgs zeigt sich seit 2004 auch in der Weiterentwicklung von Jeroen Willems, die er mit größter Konsequenz und Zielsicherheit betreibt. Zum Einen setzt er seine Fähigkeit, sich innerhalb eines Stückes in mehrere Rollen zu verwandeln, fort: Wie schon in Zwei Stimmen, oder in Der Fall der Götter nach Viscontis Familie-Krupp-Verfilmung, worin er - unter Johan Simons Regie und wieder im Spannungsbogen von Macht und Korruption - drei aufeinander folgende Generaldirektoren der Essenbeckschen Stahlwerke, den alten krächzenden Joachim von Essenbeck, den eiskalten Friedrich Bruckmann und den amoralischen, von Gier und Hass getriebenen Martin von Essenbeck, gegeben hat. Des weiteren spielte er beim ebenfalls sehr musikalisch und physisch arbeitenden Christoph Marthaler in Schutz vor der Zukunft - wo es zu den zukunftsträchtigen Kontakten mit Dramaturgin Stefanie Carp kam (neue Schauspieldirektoin der Wiener Festwochen ab 2008), sowie mit Komponist Markus Hinterhäuser (neuer Musikdirektor der Salzburger Festspiele seit 2007): einmal einen geduckten Buben, der kindlich seinen Kopf nach oben reckt, und dann wieder einen aufrechten Züchtiger der vermeintlichen “Nazi-Irrenanstalt”, mit blasierter, leicht defensiver Herablassung. Ein Täter-Opfer-Mutant in fließenden Übergängen. Ein ergreifendes Wechselspiel zwischen getarnten Vernichtungsabsichten und blanker Todesangst. - Auch dieses Stück holte sich den Regie-Nestroy 2005.
Über Jacques Brel in New York und zum Top-Filmstar
Und Jeroen Willems wird selbst mit Preisen überhäuft: Mit Nationalen in den Niederlanden und internationalen Theaterpreisen von Deutschland, Italien über Polen bis St. Petersburg als bester Schauspieler. Meist in Zusammenhang mit dem Stück Zwei Stimmen. Den jüngsten Preis erhielt der immer auch schon selbst Regie-führende bzw. -mitdenkende für seine persönliche Auseinandersetzung mit Jacques Brel. Denn Willems will eigentlich immer schon singen: "Das wollte ich schon mit vier Jahren. Meine Heimat in der Musik verschafft mir ein Teilchen Glück.” In Antwerpen sang er eine Arie in der Theater-Oper Sentimenti. “Das scheint wenig zu tun zu haben mit politischem Engagement. Aber ich halte es für wichtig, dass man macht, was einen glücklich macht. Ich kann nicht bloß herumstehen auf der Bühne. Ich bin kein Politiker. Für mich als Schauspieler
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